DER KALTE KRIEG UND DIE IJSSEL (Bunkertour der RAG-Schwimmen)
Wir schreiben das Jahr 1954 und befinden uns mitten im Kalten
Krieg. Die Rote Armee hat, zusammen mit Truppen aus den
kommunistischen Bruderstaaten des Warschauer Paktes,
Westdeutschland angegriffen und droht, rasch durch die
Norddeutsche Tiefebene und die Benelux-Staaten bis zum
Atlantik vorzustürmen. Die junge NATO, der die Bundesrepublik
Deutschland noch nicht angehört, rüstet im Westen zum
Gegenschlag. In den Niederlanden ist man seit über einem Jahr
auf einen Angriff vorbereitet. Ein Zugriff sowjetischer
Truppen auf die Ballungsgebiete Rotterdam und Amsterdam muss
unter allen Umständen verhindert werden. In einer streng
geheimen Bunkeranlage im Wald bei Olst an der Ijssel werden
die Verteidigungsmaßnahmen der niederländischen Armee
koordiniert: In den Rheinarmen Waal bei Nimwegen und
Niederrhein bei Arnheim werden Sperrwerke aus längst
bereitgehaltenen Pontons errichtet und dadurch die
Wassermassen in das Flüsschen Ijssel gedrückt, das auch zum
weit verzweigten Rheindelta gehört. Die Ijssel, die vom Süden
Hollands nach Norden bis zum Ijsselmeer und von dort in die
Nordsee fließt, schwillt schnell auf das Zehnfache ihrer
normalen Größe an.
Bei Olst werden die Fluten ebenfalls durch versenkte Pontons
aufgestaut und treten über die Ufer. Zusätzlich sind hier
große Schleusentore in den Deich gebaut worden, sodass das
umliegende Land noch schneller überflutet wird. So entsteht im
Osten der Niederlande ein über 100 Kilometer langer und bis zu
10 Kilometer breiter See. Durch die Schlammmassen und das
kniehohe Wasser sollen die Panzer der Roten Armee aufgehalten
werden, bis Truppen und Material von den NATO-Partnern
Großbritannien und Frankreich nachgeführt werden. Der Name
dieses Projekts lautet IJSSEL-LINIE. Zur Verteidigung der
Fluss-Sperre und Schleuse sind bei Olst rund um den
Kommandobunker 64 Bunker, Kasematten und in Beton eingegossene
alte Sherman-Panzer aus dem 2. Weltkrieg in die Deiche und auf
Warften gebaut worden. Außerdem gibt es einen Lazarettbunker
zur Erstbehandlung verletzter niederländischen Soldaten. Doch
der Sturm aus dem Osten findet nicht statt, die Bundesrepublik
tritt 1955 dem Nordatlantischen Bündnis bei und der Eiserne
Vorhang zwischen West- und Ostdeutschland wird bis 1989 weit
entfernt von den Niederlanden zur Grenze zwischen den
NATO-Staaten und dem Warschauer Pakt.
Ab 1965 beginnt man mit Abriss oder Zuschüttung der immer noch
geheimen Anlagen und Bunker. Erst 30 Jahre später kommt der
Plan durch engagierte Niederländer ans Licht der
Öffentlichkeit. Nach Öffnung der russischen Archive erfuhr man
jedoch, dass der sowjetischen Armeeführung alle geheimen Pläne
von Anfang an bekannt waren. 1995 wird die Bunkeranlage in
Olst von der Stiftung Ijssellandschap erworben und seitdem in
Teilen wieder hergestellt. Seit 2003 hat die Stiftung
Ijssellinie die Aufgabe "die Ijssellinie als getreue,
monumentale Verteidigungslinie aus der kalten Kriegsperiode zu
renovieren, zu verwalten und in Stand zu halten als edukatives
und erholsames Objekt².
Einige Kameraden der RAG Schwimmen fuhren im Oktober für
drei Tage zur Besichtigung der Anlagen an die Ijssel.
Übernachtet wurde zünftig in einem der ehemaligen
Flakleitstandbunker, der unserem belgisch-holländischem
Förderer Joop Peeters gehört ohne Strom und fließend
Wasser. Die Führung durch Hans de Bruijn von der Stiftung
Ijssellinie begann mit einem "lekker kopje koffie² im
vollständig wieder eingerichteten Sanitätsbunker. Der nicht
bombensichere, aber zu seiner Zeit gassichere Bunker wurde
1955 fertiggestellt und ist teilweise mit Erde bedeckt.
Durch zwei hintereinander geschaltete Gasschleusen gelangten
wir in das Aufnahmezimmer für verwundete Soldaten. Von hier
aus geht es in zwei Operationskammern, an die sich der
Schlafsaal mit 32 Notbetten anschließt. Toiletten und eine
Sterilisationskammer komplettieren das Feldlazarett; für
elektrischen Strom und fließend Wasser wird im
Generatorenraum und in der Wasseraufbereitungskammer
gesorgt. Zweiter Anlaufpunkt der Besichtigungstour war der
1953 gebaute Kommandobunker, der mit 1,20 Meter dicken
Wänden bombensicher angelegt worden ist. Von hier aus
führten in 2 Meter Tiefe Telefonkabel zu den anderen
Kampfbunkern. Dazu gehört ein Vierlingsbunker für vier
MG-Schützen und ein Luftabwehrbunker für sieben Mann
Besatzung, in die wir ebenfalls steigen durften.
Anschließend fuhren wir zum neuesten Projekt der Stiftung,
in die Nähe der mittlerweile wieder hergestellten Schleuse
im Deich, wo direkt an der Straße auf dem Ijsseldeich eine
Flugabwehrstellung mit einem Munitionsbunker und einem
Mannschaftsbunker für 27 Soldaten ausgegraben wird. Leider
waren die beiden Treppenabstiege wegen der am Wochenende
ruhenden Arbeiten mit Platten abgedeckt, aber Herr de Bruijn
erzählte, dass die Bunker schon von der örtlichen Feuerwehr
entwässert und teilweise freigeschaufelt worden sind. Zum
Schluss besichtigten wir einige der Shermanpanzer, die ohne
Getriebe und Motor auf den Deichen einbetoniert wurden.
Diese finanziell schlichte Lösung mussten niederländische
Soldaten damals aber mit ihrem Leben bezahlen, denn bei
Übungen erwies sich beim Zünden der Kanonen der fehlende
Rückstoßraum als äußerst fatal. Die Düsseldorfer Reservisten
revanchierten sich für die hochinteressante Führung mit
tatkräftiger Unterstützung bei der Instandsetzung der
Bunkerstellung. Weitere Informationen zur Ijssellinie
gibt es im Internet unter www.ijssellinie.info
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